Interview

Recruitment in Zeiten von Corona: “Employer Branding findet zuallererst intern statt”

Die Corona-Pandemie stellt seit einigen Monaten viele Unternehmen bei der Suche nach neuen Mitarbeitern vor große Herausforderungen. Gewohnte Recruiting-Prozesse wurden durcheinandergebracht und schnell mussten neue Methoden eingesetzt werden, um erfolgreich zu rekrutieren. Pamyra, der IT-Lösungsanbieter für die Logistik, erlebte einen regelrechten Boom an Aufträgen und begab sich während der Pandemie auf die Suche nach neuem Personal. Dafür mussten bestehende Prozesse neu überdacht werden, um passende Kandidaten zu finden. Dabei unterstützt wurde der Logistikdienstleister vom Recruiting-Startup hearthunting. Im folgenden Interview erklärt Sven Fiedler, Gründer von hearthunting, die Auswirkungen von Corona auf die digitale Recruitment-Welt und zeigt am Beispiel von Pamyra auf, mit welchen Methoden Arbeitgeber sich als starke Marke am Markt positionieren können.

Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen hearthunting und Pamyra?

 Sven Fiedler: Ende 2019 sind wir ins Leipziger Tapetenwerk eingezogen und wollten unsere Nachbarn kennenlernen. Auch, um unsere Dienste im Bereich Employer Branding und digitales Recruiting zur Verfügung zu stellen. Einen ersten gemeinsamen Kaffee später stellte sich heraus, dass wir ausgerechnet in das alte Büro von Pamyra gezogen sind. Aus dieser Gemeinsamkeit und dem Zufall, dass bei Pamyra einige Stellen gerade unbesetzt waren, entwickelte sich eine Zusammenarbeit.

Welche Stellen wurden durch euch bei Pamyra besetzt?

Sven Fiedler: Unsere ersten Aufgaben waren die Suche nach einem Frontend-Entwickler, einem Key Account Manager und einem Marketer. Sie sollten nicht nur die nötigen Skills mitbringen, um die digitalen Produkte erfolgreich weiterzuentwickeln und zu vermarkten, sondern auch gut zur Unternehmenskultur von Pamyra passen. Das ist uns ganz gut gelungen, bis jetzt konnten wir bereits fünf neue Teammitglieder zusammen anwerben.

Wie sieht es aktuell auf dem Arbeitsmarkt aus? Hat Corona einen Einfluß für Arbeitgeber bei der Suche von Arbeitnehmern?

Sven Fiedler: Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen ist es schwierig am Markt geworden, geeignete Kandidaten zu finden. Viele Stellen bleiben lange unbesetzt und bringen so Verluste für das Unternehmen. Corona hat diese Situation vielerorts verstärkt. Es fehlt Unternehmen an zeitlichen Ressourcen und Know-how und häufig auch am Bewusstsein, um eine Trendwende einzuleiten. Viele Unternehmen wollen vor allem ihre Produkte vorantreiben und vergessen dabei eins: Ein Produkt kann nur so gut sein, wie die Mitarbeiter, die an ihm arbeiten. Diese Grundeinstellung ist die Basis für eine erfolgreiche Arbeitgebermarke.

Und inwiefern hat sich das Verhalten der Arbeitnehmer:innen verändert?

Sven Fiedler: Diese gehen heute schnell selbstständig auf die Suche nach Informationen. Werde ich zum Beispiel als Arbeitgeber nicht auf den Plattformen der potenziellen Kandidaten gefunden oder stelle ich die falschen Informationen zur Verfügung, verliert die Arbeitgebermarke rasant an Attraktivität.

Heutzutage sollten sich Unternehmen folgende Fragen stellen:

  1. Welchen Zweck erfülle ich als Unternehmen und wie kann ich meine Mitarbeiter dabei unterstützen, einen erfolgreichen Job zu machen?
  2. Wie sieht ein idealtypischer Mitarbeiter für mein Unternehmen aus? Welche Aufgaben beschäftigen ihn? Mit welchen Herausforderungen hat er zu kämpfen? Wie sehen seine Bedürfnisse im beruflichen Kontext aus?
  3. Wie kann ich meinen idealtypischen Mitarbeiter dabei unterstützen, seine Aufgaben zu lösen, Herausforderungen zu meistern und Bedürfnisse zu stillen?
  4. Findet mich mein idealtypischer Mitarbeiter auf der Suche nach einem neuen Job überhaupt? Und wenn nein, warum nicht und wo muss ich hin, um gefunden zu werden?

Es ist sicherlich kein einfacher Weg, diese Fragen alle klar zu beantworten. Aber es lohnt sich. Letztlich passt sich der idealtypische Mitarbeiter nicht an das Unternehmen an, sondern das Unternehmen an die Verhaltensweisen des Mitarbeiters, um sich zu etablieren und eine unverwechselbare Arbeitgebermarke aufzubauen.

Gab es Veränderungen im Bewerberverhalten? Haben sich die Wünsche der Bewerber oder ihre Jobwechsel-Motive geändert?

Sven Fiedler: Wir haben festgestellt, dass es eine Mischung aus beiden Bereichen ist. Zum einen informieren sich Bewerber heute selbstständig über potenzielle Arbeitgeber und beschäftigen sich auch anders mit beruflichen Inhalten, der Lösung von Aufgaben und Herausforderungen. Hier reicht nur ein gezielter Griff zum Smartphone, um die Recherche im Internet zu starten. Stellt der potenzielle Arbeitgeber nicht die nötigen Informationen zur Verfügung oder positioniert sich nicht als Spezialist in seinem Bereich, verliert die Arbeitgebermarke an Relevanz und verschwindet langsam von der Bildfläche. Natürlich verändern sich Jobmotive auch von Generation zu Generation. Diesen Faktor sollte ich als Arbeitgeber bei meinen zukünftigen Employer Branding Maßnahmen berücksichtigen. Denn Employer Branding findet zuallererst intern statt.

Was bedeutet das genau?

Sven Fiedler: Welche Rahmenbedingungen sollte ich meinen Mitarbeitern zur Verfügung stellen, um einen erfolgreichen Job zu machen? Wie schaffen wir es private Verpflichtungen und Bedürfnisse mit dem Arbeitsalltag zu vereinen? Die Corona Pandemie hat gezeigt, dass eingestaubte Arbeitszeit- und Ort-Modelle von heute auf morgen verändert werden können. Natürlich sind aus dieser Situation wieder neue Herausforderungen entstanden, wie zum Beispiel: Wie schaffen wir trotz der Distanz die Nähe zu unseren Mitarbeitern zu halten? Wie können wir Familien dabei unterstützen Ihren Alltag in Zeiten von Home-Office zu meistern? Die gute Nachricht aber ist, wir haben den Sprung ins kalte Wasser hinter uns. Jetzt heißt es losschwimmen und sich an die aktuellen und zukünftigen Bedingungen immer wieder anzupassen. Um noch mal in einem Bild zu sprechen: Wir sind auf einer olympischen Distanz unterwegs. Um diese Herausforderungen zu meistern, benötigen wir einen langen Atem, Mut und Kreativität, um gemeinsam innovative Lösungen zu entwickeln.

In welchen Branchen ist es schwieriger oder sogar leichter geworden, gute Kandidaten zu finden?

Sven Fiedler: Grundsätzlich würde ich das nicht unbedingt nur an der Branche ausmachen. Unsere Erfahrung zeigt, dass es oft an den einzelnen Bereichen im Unternehmen hängt. Bei Pamyra zum Beispiel war es sehr schwierig für den Bereich IT- und Softwareentwicklung neue Mitarbeiter zu finden. Tendenziell sind Berufsfelder, die sich dahinter verstecken, sehr gefragt am Markt und die Zahl der Menschen mit geeigneter Spezialisierung eher rar.

Aber, die Logistikbranche gilt als einer der Gewinner in der Krise. Wie haben Sie es geschafft, geeignete Kandidaten für das Unternehmen Pamyra zu finden?

Sven Fiedler: Im ersten Schritt haben wir uns gemeinsam mit Pamyra darauf verständigt, eine Candidate Persona aufzubauen. Das ist ein idealtypischer Mitarbeiter im Bereich IT- und Softwareentwicklung. Anhand dieser Informationen und den dafür geeigneten Plattformen, sind wir direkt auf potenzielle Kandidaten zugegangen. Im nächsten Schritt haben wir versucht ein Kandidaten-Matching durchzuführen. Bedeutet, wir suchen potenzielle Kandidaten, deren Werte und Einstellungen mit der Unternehmenskultur zusammenpassen. In Kombination mit dem offenen, herzlichen und transparenten Bewerbungsprozess von Pamyra konnten wir so drei neue Entwickler für das Unternehmen gewinnen.

Und wie viele Stellen wurden letztlich innerhalb des Unternehmens besetzt und in welchem Zeitraum?

Sven Fiedler: Innerhalb von sechs Monaten haben wir insgesamt fünf neue Mitarbeiter für das Unternehmen Pamyra gefunden, die sich auf die Bereiche Entwicklung, Marketing und Key-Account-Management verteilen.

Die Jobsuche von Kandidaten findet heutzutage fast ausschließlich online statt. Wie präsentiert sich ein Arbeitgeber hier möglichst attraktiv?

Sven Fiedler: Wichtigstes Ziel jeder Arbeitgebermarke ist es, die richtigen Informationen, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, an die passende Persona auszuspielen. Und vor allem sich als Spezialist im jeweiligen Bereich zu positionieren und einen Mehrwert für bestehende Mitarbeiter und potenzielle Kandidaten zu schaffen. Im Falle von Pamyra ist die Basis für die strategische Ausrichtung des zukünftigen Employer Brandings, die sogenannte “Candidate Persona”. Sie wurde von uns gemeinsam aus demografischen Daten, Mitarbeiterinterviews und fundierten Vermutungen abgeleitet. Aus dieser Persona haben wir im nächsten Schritt Themen, also Content, Recruiting Kanäle bzw. Plattformen und den Aufbau der neuen Karriereseite durch Interaktionsmöglichkeiten abgeleitet. Im Moment sind wir dabei ein geeignetes Content-Management-System und die Texte für die neue Webseite zu erarbeiten. Der Content wird dann auf den Social Media Kanälen der Persona ausgespielt und leitet von dort auf die Karriereseite von Pamyra. Auf der Karriereseite hat der potenzielle Kandidat dann wieder die Möglichkeit mit Pamyra zu interagieren, sei es durch verschiedene Themenbereiche, Mitarbeitervorstellungen, Darstellung der Unternehmenskultur, Meetups oder Benefits. Der potenzielle Kandidat soll einen tiefen Einblick und eine gute Entscheidungsgrundlage bekommen.

Nicht nur im Recruiting, auch in der Arbeitswelt spielt Digitalisierung eine große Rolle. Wie müssen sich Arbeitgeber auf die zukünftigen Bedürfnisse von Arbeitnehmern einstellen?

Sven Fiedler: Der Arbeitgeber, der sich permanent mit den Aufgaben, Herausforderungen und Bedürfnissen von bestehenden Mitarbeitern und potenziellen Kandidaten beschäftigt und diese dann auch zu lösen versucht, ist auf dem richtigen Weg. Arbeitgeber, die Mitarbeiter ausschließlich als Ressource sehen und nicht gewillt sind, sich aktuellen Prozessen anzupassen, werden zukünftig an Sichtbarkeit verlieren.

Auf welche Faktoren legen Kandidaten inzwischen gesteigerten Wert?

Sven Fiedler: Heute sind Faktoren wie das Unternehmensziel, der Sinn und Zweck der Aufgaben, die eigene Weiterentwicklung und ein Arbeitsumfeld, das mit dem Privatleben vereinbart werden kann, wichtige Faktoren für bestehende und potenzielle Mitarbeiter. Einige monetäre Dinge – wie zum Beispiel das Gehalt – sind wichtig, spielen aber eher eine untergeordnete Rolle.

Quellen: www.pamyra.de bzw. www.hearthunting.de

Interview veröffentlicht am 26.08.2021 in Logistiklösungen, News (In- und Ausland).
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